Reisen – Goldener November; Leben, wie es wirklich ist und das Gute, wenn es nahe liegt

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen – so ähnlich beschreibt die Alltagsweisheit Mobilität von A nach B. Das Leben als eine Reise zu verstehen, könnte einem natürlich auch in den Sinn kommen. Reisen zu sich hin werden heutzutage gern über den Umweg weit entfernter Ziele in noch weiter entfernten Ländern gemacht. Reisen bildet natürlich, Reisen verbraucht auch Ressourcen und Reisen hat selten damit zu tun, sich selbst zu bewegen.

Die Pfadabhängigkeiten heutiger Reisender erkennen wir in den immer wieder auftauchenden Zielen, die gerade cool, hipp oder sonst was sind. Sie werden über die sozialen Medien, durch Anbietermarketing oder über sozialen Druck gehypt. Sie gelten dann als „Geheimtipp“ oder als „da muss man gewesen sein“-Ziel, um mitreden zu können.

Tatsächlich lässt sich eine gewisse Parallele feststellen zwischen den Möglichkeiten, die eine Landschaft im Umkreis von zehn Meilen oder innerhalb der Grenzen einer Nachmittagswanderung bietet, und den siebzig Jahren eines Menschenlebens. Mit beiden wird man nie ganz vertraut.

Henry David Thoreau, Vom Glück, durch die Natur zu gehen, Anaconda Verlag GmbH, Köln, 2015, Seite 17

Erkenne dich selbst … und deine Umgebung!

Fragt man dieselben Leute, die Reisenden heutiger Tage, was in ihrer Umgebung zu Hause unbedingt erlebt werden müsste, erntet man meistens drei Arten von Reaktionen:

  • Völliges Unverständnis, dass man so eine Frage überhaupt stellen kann, gepaart mit der Gegenfrage: Was solls denn hier schon geben?
  • Ich kenne hier nichts, ich wohne hier nur, bin gerade von der großen Stadt X hier her gezogen, in der ich natürlich noch arbeite.
  • Wer Glück hat, trifft auf einen Lokalpatrioten, der einen vielleicht auch gleich einlädt, die Region kennenzulernen.

Die letzten Jahrhunderte sind voll von Denkern und guten Geistern, die das Glück in der Nähe vermuteten. Es fragt sich nur, warum die große Mehrheit von uns, gerade in ihrer eigenen Nähe nichts Gutes mit Glückspotenzial vermutet. Den Gedanken von Thoreau aufgreifend, käme dann auch der eine oder andere von uns nicht auf die Idee, bei sich selbst nach neuen Möglichkeiten zu suchen.

Reisen bildet …
Nun ja – manche Reise vielleicht, viele Reisen lehren eher das Warten, das Kompensieren von Enttäuschungen oder die Erkenntnis, dass man sich besser auf den nächsten Urlaub freut …

Bilden Spaziergänge oder Wanderungen in die nähe Umgebung auch?

Das zweite Mißverständnis ist noch gravierender. Es geht davon aus, daß Selbstverwirklichung am einfachsten durch ständigen Wechsel von Personen und Orten geschieht. Das ist heute, im Zeitalter der Mobilität, ein weit verbreiteter Irrtum. Denn gerade der Wechsel erlaubt Wiederholungen und bringt Routine: Mit anderen Partnern und an anderen Orten kann man es sich leisten, immer dieselben Geschichten zu machen und auf diese Weise sich selbst aus dem Weg zu gehen.

Ferdinand Fellmann, Lebensphilosophie, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek, 1993, Originalausgabe, Seite 247

Fellmann weist, genau wie Thoreau, darauf hin, dass ein Bei-sich-Ankommen eine andere Art von Reise voraussetzt, die selten mit der Erlösung vom Fernweh einhergeht.

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